Geister im Garten
Uli

Geister im Garten

Beidseitiger Austausch Thailand - Österreich

Das Abenteuer Gastfamilie
YFU Austria:

Warum habt ihr euch entschieden ein Gastkind aufzunehmen?

Uli:

Weil unsere ältere Tochter selbst ein Austauschjahr in Thailand macht und wir bei der Vorbereitung mitbekommen haben, wie sehr man sich als Austauschschülerin eine Familie wünscht, die einen dann auch so, wie man ist, will und gut aufnimmt. Irgendwann haben wir dann gedacht, dass andere Jugendliche sich gerade genauso um die Aufnahme in eine österreichische Familie sorgen und dass wir gerne jemanden nehmen würden.
Für unsere thailändische Gasttochter haben wir uns entschieden, weil uns gefallen hat, dass eine Jugendliche eine Abenteuerin sein möchte, in ein fremdes unbekanntes Land geht und die Sprache gar nicht kann - also nicht in erster Linie, um für Schul- oder sonstige Erfolge ihre Sprachkenntnisse zu verbessern.

Pors Wienaufenthalt hat eigentich in Eggenburg beim Mittelalterfest angefangen.
YFU Austria:

Was hattet ihr für Vorstellungen von eurem neuen Familienmitglied? Was hat sich bewahrheitet, was war anders?

Uli:

Wir dachten, es kommt jemand aus Asien und wird keinen Käse mögen. Das hat wirklich überhaupt nicht gestimmt.
Eigentlich hatten wir nur die Vorstellung, dass es ein Mädchen ist, das aus Abenteuerlust herkommt. Aus dem Fragebogen für die Schule haben wir geschlossen, dass es ein Mädchen ist, das für Thai-Verhältnisse vielleicht lauter oder initiativer ist, als gutmeinende Lehrer in den Fragebogen schreiben wollten - weil einige Beurteilungen offenbar ausgebessert und in Richtung "unauffälligeres Kind" verschoben waren.
Ich glaube immer noch, dass sie eine mutige Abenteurerin ist - aber ich glaube, sie merkt es selbst nicht immer.
Grundsätzlich habe ich eigentlich damit gerechnet, dass es lange dauern wird, bis ein Gastkind so viel Vertrauen hat, dass es mir wirklich sagt, wie es ihr geht.
Das war aber dann praktisch ab der ersten Begegnung ganz anders.
Es ist eigentlich so, dass ich total überrascht bin, wie sehr meine Gasttochter eben keine Gasttochter sondern mein drittes Kind ist, für das ich mich genauso verantwortlich fühle wie für die beiden anderen, wo man mitleidet, wenn etwas nicht so geht wie sie es sich wünscht (Schule, Schulfreundinnen,...), sich freut, wenn etwas gut geht und versucht, spät nächtens hilfreiche Ratschläge zu geben und Mittags hört, dass man auch nicht alles richtig macht,...
Was logischerweise ganz anders ist, als wir es kennen, sind oft die GRÜNDE, aus denen etwas getan oder nicht getan wird, aus denen auch Stress resultiert, zB mit dem Sprachlernen. Da gibt es ganz viele Kulturunterschiede und auch einfach Unterschiede im Familienleben, die dazu führen, dass ich immer wieder draufkomme: 'Aha, das sah aus wie etwas, das ich kenne, aber es ist ganz anders. Jemand kann sich von mir angegriffen fühlen, weil ich sage "Du machst das gut!". Jemand kann es als nervend empfinden, nicht einfach jammern zu können, sondern mit Lösungsansätzen heimgesucht zu werden.'
Sicher erwartet habe ich mir – ohne wirklich darüber nachzudenken – dass mein Gastkind gerne und öfter alleine in Wien unterwegs sein und das genießen wird.
Das ist ganz anders, weil wir in einer Stadt leben, in der wir selbst zu Recht das Gefühl haben, dass wir immer sicher nach Hause kommen werden. Aber wenn man damit aufwächst, dass es sehr gefährlich ist, alleine in einer großen Stadt herumzulaufen und man wahrscheinlich nicht unbeschadet wiederkommen wird, dann wird man nicht alleine weggehen - auch in Wien nicht, weil das eine große Stadt ist.
Und wenn im Dunklen in Thailand richtig böse Geister darauf warten Lebenden irgendwelche Schrecken anzutun, dann geht sicher keiner freiwillig hinaus.
In unserem Wiener Garten sind, glaube ich, nie Geister, wenn ich da bin und auch nicht am Dachboden oder im Keller. Aber ich habe auch kein Geisterhäuschen vor dem Haus, wo ich mich darum kümmere, dass die, die ich im Haus nicht haben will, draußen bei Laune gehalten werden und mich nicht behelligen. Falls also welche kommen: keine gute Situation, wenn man weiß, um was es geht...
Was ich gar nicht erwartet hätte: in welcher Art und wie “schwesterlich” sich meine jüngere Tochter und meine thailändische Gasttochter verstehen, miteinander herumblödeln, spät schlafen gehen, weil gemeinsam irgendwelche Soaps geschaut werden müssen, sich auch manchmal sehr schwesterlich über einander ärgern und miteinander Adventsäckchen öffnen.
Ich hätte überhaupt nicht gedacht, dass meine Gasttochter so gut Englisch spricht – und dass wir deshalb auch viel mehr in der Familie Englisch reden, als ich das von vornherein gedacht hätte. Nicht nur hilfreich beim Deutschlernen - aber hilfreich beim Erzählen und sich gegenseitig wirklich Kennenlernen.

YFU Austria:

Was hat euer Gastkind am Anfang am Zusammenleben verwundert?

Uli:

Es gibt in Wien viel mehr Schokolade als in Thailand.
Das Abendessen ist als gemeinsame Mahlzeit viel wichtiger als in Thailand.
Wir fuchteln mit den Händen, wenn wir uns über etwas aufregen.
Der Hund darf in der Wohnung sein.
Es gibt viel weniger Früchte zu essen.

YFU Austria:

Wie sind die Rollen in der Familie verteilt? Welchen Platz nimmt euer Gastkind ein?

Uli:

Ich bin die Mutter, Michael ist der Vater, wir haben 2 Töchter und eine ist in Thailand auf Schüleraustausch. Insofern hat meine Gasttochter die Rolle einer der Töchter hier. Was eine Rolle als “unsere Tochter” alles beinhaltet, werden wahrscheinlich nur die Kinder wirklich wissen... Im besten Fall muss meine Gasttochter nicht den Platz der abwesenden Tochter einnehmen – das hätten wir gerne und hoffen sehr, dass wir das auch vermitteln.

YFU Austria:

Was macht eure Familie typischerweise gemeinsam? Wie hat die Aufnahme eines Austauschschülers das verändert?

Uli:

Wir frühstücken gemeinsam und essen meistens gemeinsam zu Mittag und zu Abend. Wir kochen. Wir besuchen Freunde und Freundinnen oder/und Familie. Wir plaudern ziemlich viel. Wir fahren auf unsere Wiese in unseren Bauwagen im Burgenland.
Das hat sich durch unsere Gasttochter eigentlich nicht verändert. Eventuell fällt es unserer jüngeren Tochter leichter zu einigen Besuchen bei Bekannten nicht mitzugehen, weil die Gastschwester auch da ist und auch lieber zu Hause bleibt. Aber das ist nicht anders, wenn die ältere Tochter da ist.

YFU Austria:

Wann hat sich der Alltag mit eurem Gastkind eingestellt? Woran habt ihr das gemerkt?

Uli:

Alltag zeigt sich für mich an den Tagen, an denen ich das erste Mal zu Mittag nicht nach Hause gekommen bin, weil etwas zu arbeiten oder zu erledigen war und ich nicht groß drüber nachgedacht habe, ob das für mein Gastkind auch OK ist.
Anderer Alltag ist, wenn man sich so sicher ist, dass alle in jedem Fall zur Familie gehören, dass man sich auch darüber ärgern kann, dass die Gastschwester die Schuhe zu langsam bindet und der Zug vielleicht verpasst wird oder die österreichische Schwester einen ignoriert hat und man sie deshalb auch kurz anrennen lässt.
Und wenn man sagen kann „Gute Nacht" und "Nein, ich bin schon müde und möchte nicht warten, bis alle im Bett sind, nur damit dann ich das Licht abdrehe“, dann ist auch Alltag. Und wenn die Kinder in kitschiger „die Waltons“-Manier aus ihren Zimmern „Gute Nacht“ durch die Wohnung rufen, dann ist sicher auch netter Alltag. Oder eben Nacht.

YFU Austria:

Erzählt eine Anekdote aus dem Alltag mit eurem Gastschüler!

Uli:

Da gibt es eher nette Bilder als Anekdoten:
Mein jüngeres Kind empört sich über irgendwas Empörendes, steht in der Küche und gestikuliert. Meine Thai-Tochter stellt sich mit einem Häferl Kakao daneben und macht alle ihre Handbewegungen nach, bis die erste ausflippt und beide lachen.
Mein Gastkind sitzt mit verschlafenen Augen im Pyjama am Tisch und bekommt leuchtende Augen, weil mein Liebster Semmeln vom Hundespaziergang mitbringt. Daraus wird dann: Semmel, ungeschnitten, oben drauf Honig, über alles drüber Staubzucker. Manchmal auch: Semmel, aufgeschnitten, eine Hälfte mit Nutella, die andere mit Erdnussbutter, zusammengeklappt.
Auf der Südautobahn ist Schneesturm, obwohl weder in Wien noch hinter dem Wechsel Schnee liegt. Meine jüngere Tochter liest, meine Thai-Tochter sitzt daneben und schaut und sagt: "Look! Look! Ur cool!"