Als "Mija" in Ecuador
Sarah

Als "Mija" in Ecuador

Am schnellsten lernt man die Sprache durch reden

Jeder nannte mich "Mi hija", egal ob Gastmama, die Lehrer oder Busfahrer.
YFU Austria:

Sarah, viele Austauschschüler*innen sprechen die Sprache ihres Gastlands zu Beginn ihres Austausches noch nicht. Mit welchen Sprachkenntnissen bist du in dein Austauschjahr nach Ecuador gefahren? Welche Gedanken und Gefühle hattest du dabei?

Sarah:

Ich hatte davor ein Jahr Spanisch im Gymnasium und versuchte mir in den Monaten vor meinem Abflug noch etwas Spanisch anzueignen. Deshalb machte mir keine allzu große Sorgen, was die Sprache anbelangt.

Ich mit meinen Mitschülern am Tag des Kindes. Dieser Tag wird in Ecuador richtig groß gefeiert. Wir sind in die Unterstufe unserer Schule gegangen und haben dort Süßigkeiten an die Kinder verteilt und mit ihnen gespielt.
YFU Austria:

Wie erging es dir mit diesen Sprachkenntnissen?

Sarah:

Schon am ersten Tag stellte ich fest, dass es zwischen dem Schulspanisch und ecuadorianischem Spanisch nicht allzu viel Ähnlichkeit gibt. Am ersten Tag schon erntete ich großes Gelächter, als ich mich bedanken wollte. Man lispelt das "c" nämlich nicht wie in Spanien, sondern spricht es wie ein scharfes "s" aus. Auf jeden Fall war so aber schon mal das Eis gebrochen ;)

YFU Austria:

Was ist das Besondere an der Sprache deines Gastlands?

Sarah:

Spanisch an sich ist in Lateinamerika nichts Außergewöhnliches, aber: Dadurch dass man in jedem Land ein anderes Spanisch spricht ist es wiederum einzigartig. So hat auch Ecuador eigene Wörter, durch die jeder andere Latino sofort erkennt, wo man her ist. Aber nicht einmal ganz Ecuador - obwohl es eigentlich ein nicht allzu großes Land ist - spricht gleich. So sprechen die Leute in den Anden, die serranos, viel langsamer und deutlicher als die costeños, die ich wiederum schwer verstehe, weil ich genau in der Landesmitte wohnte. In Cuenca wiederum "singen" die Leute, wodurch ein cuencano unmöglich verheimlichen kann, wo er herstammt. Allen gemeinsam ist, dass sie es lieben, an so gut wie jedes Wort ein -ito oder ein -ita anzuhängen, um alles zu verniedlichen. So wurde ich stets als Sarita angeredet - wenn nicht, dann wusste ich schon, dass ein ernstes Gespräch bevorstand.
Sehr schön habe ich auch in Erinnerung, dass man von allen als "mija" also als "mi hija", meine Tochter, angesprochen wird, sei es tatsächlich durch die Gastmutter, einen Lehrer oder den Busfahrer. Außerdem fluchen ecuadorianische Jugendliche leidenschaftlich gern und oft. Und genauso gern vermitteln sie dieses Wissen an Austauschschüler weiter!

YFU Austria:

War es am Anfang schwierig, die Menschen zu verstehen? Dich mitzuteilen? Kannst du uns von einem einprägsamen Erlebnis berichten?

Sarah:

Anfangs vielleicht etwas, zum Beispiel war ich am ersten Tag schon stolz, dass ich unterscheiden konnte, wann ein Wort aufhörte und wann ein anderes anfing. Und das ständige Zuhören machte mich extrem müde, wodurch ich die ersten Wochen immer früh todmüde ins Bett fiel. Aber ich gab mir viel Mühe und auch meine Gastfamilie achtete darauf, nur Spanisch zu reden. Ich zwang auch meine Mitschüler, nur Spanisch mit mir zu sprechen, weil ich das nach zwei Wochen schon besser verstand als ihr Englisch. Dadurch kann man sich schon vorstellen, wie einfach Spanisch zu lernen (oder auch wie schlecht ihr Englisch) ist :)

YFU Austria:

Hast du einen Sprachkurs absolviert oder hast du dir die Sprache selbst beigebracht? Welche Erfahrung hast du damit gemacht?

Sarah:

Ich habe keinen Sprachkurs absolviert, hatte aber auch nie das Gefühl, einen zu brauchen. Ich denke, das einfachste und wirkungsvollste Mittel, um eine Sprache zu lernen ist Kommunikation - ständig zu reden und zuzuhören. Ich saß anfangs jeden Abend mit meiner Gastmama in der Küche und redete anfangs noch mit Händen und Füßen und ab und zu holte ich dann auch das Wörterbuch hinzu. Dadurch merkte ich jedenfalls ziemlich schnell einen Fortschritt.

YFU Austria:

Manche Austauschschüler*innen lesen Kinder- oder Märchenbücher um die Sprache leichter und besser zu lernen. Was hast du getan, um die Sprache schnell zu lernen?

Sarah:

Eine Lehrerin hat mir ein Kinderbuch geschenkt, das vom Niveau damals vielleicht etwas zu hoch war. Aber nachdem Wörter mehrmals vorgekommen sind, konnte ich mir einen Reim drauf machen. Eine Austauschschülerin hat mir erzählt, dass sie ein Buch ganz oft gelesen hat, bis sie es verstand. Eine weitere wiederum hat überall im Haus Post-its hingeklebt. Meine Gastfamilie hat oft gemeinsam ferngesehen und so habe ich auch durch zuhören viel gelernt. Später habe ich dann öfter mal die Zeitung gelesen und konnte mir auch schon Bücher von Freunden ausleihen. Wenn man eine Sprache lernen will, glaube ich trotzdem, dass nichts so gut funktioniert, wie reden, reden reden. Außerdem habe ich nach einer Weile bewusst versucht, auf Spanisch zu denken, und nicht mehr nach einer deutschen Übersetzung für neues Vokabular zu suchen; vor allem, weil ich es eh nicht brauchte und weil es auch nicht immer eine Übersetzung braucht.

YFU Austria:

Erzähl uns von deinem Schlüsselerlebnis, an dem du gesagt hast - „Ich kann's!“

Sarah:

Ganz eindeutig: als ich zum ersten Mal auf Spanisch geträumt habe!
Wobei ich es eigentlich nie zu 100% konnte, weil ich dieses blöde rollende "r" bis heute nicht hinbekomme, egal was ich mache. Auch wenn mich das furchtbar ärgert so sorgte es immerhin für viel Spaß und Fettnäpfchen.

YFU Austria:

Was hat in deinem Fall besonders gut funktioniert? Welchen Tipp kannst du anderen Austauschschüler*innen mit auf den Weg geben, die Sprache leichter und besser zu lernen?

Sarah:

Bei mir hat sicher das konsequente Spanischsprechen gut funktioniert, teils weil meine Gastfamilie sehr viel Wert darauf legte und teils, weil ich das selber wollte. Ich sprach auch mit anderen Austauschschülern in Spanisch. Ich kann nur jedem raten, so bald wie möglich in der Sprache des Gastlandes zu sprechen, auch wenn man kaum Sprachkenntnisse hat. Irgendwie kann man sich immer aushelfen. Und am besten macht man sich keine Gedanken, was man da gerade für einen Blödsinn daherredet - das passiert natürlich, aber als AustauschschülerIn darf man das und niemand erwartet, dass man die Sprache perfekt spricht. Es freut sich sowieso jeder, wenn man sich bemüht und wenn ein paar Fehler dabei sind, machts das umso lustiger :)